Damit Antibiotika so wirken, wie sie sollen

Forscher der ETH Zürich entschlüsseln die Struktur der grossen Untereinheit des Ribosoms der Mitochondrien bis ins atomare Detail. Dies ermöglicht nie dagewesene Einblicke in die molekulare Architektur dieses Ribosoms und in die Wirkungsweise von Antibiotika.

Vergr?sserte Ansicht: Ausschnitt Atommodell der grossen Untereinheit des Mitoribosoms. (Grafik: Gruppe Prof. N.Ban / ETH Zürich)
Ausschnitt aus der Struktur der grossen Untereinheit des mitochondriellen Ribosoms beim S?ugetier. (Grafik: Gruppe Prof. N. Ban / ETH Zürich)

Ein Team von Forschenden der ETH Zürich rund um die Professoren Nenad Ban und Ruedi Aebersold hat die hoch komplexe molekulare Struktur der Mitoribosomen, den Ribosomen von Mitochondrien, studiert. Ribosomen kommen in den Zellen aller lebenden Organismen vor. Allerdings weisen h?here Organismen (Eukaryoten), zu denen neben Pilzen, Pflanzen und Tieren auch Menschen z?hlen, wesentlich komplexere Ribosomen auf als Bakterien. Bei Eukaryoten lassen sich die Ribosomen zudem in zwei Typen unterteilen: diejenigen im Cytosol, dem Grossteil der Zelle, und jenen in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen. Mitochondrien kommen dabei nur bei Eukaryoten vor.

Ribosomen dienen als Dechiffrierger?t und sind eng in den Entstehungsprozess von Proteinen eingebunden. Jedes Ribosom besteht aus zwei Untereinheiten. Die kleinere Untereinheit decodiert mit Hilfe von Transfer-Ribonukleins?uren (Transfer-RNS oder tRNS) den genetischen Code, der in Form einer Boten-RNS angeliefert wird. Die gr?ssere Untereinheit fügt die durch die Transfer-RNS gelieferten Aminos?uren wie Perlen zu einer Protein-Kette zusammen.

Noch h?here Aufl?sung, noch mehr Details

Mitochondrielle Ribosomen sind besonders schwierig zu untersuchen, da sie nur in geringer Zahl auftreten und schwer zu isolieren sind. Bereits zu Jahresbeginn hatten die ETH-Forschenden die molekulare Struktur der grossen Untereinheit des Mitoribosoms von S?ugetierzellen bis zu einer Aufl?sung von 4,9 Angstr?m (weniger als 0,5 Nanometer) aufgekl?rt. Allerdings war diese Aufl?sung nicht hoch genug, um zuverl?ssig ein atomares Modell der damals unbekannten Struktur zu bauen. Dies ist dem Team von ETH-Professor Nenad Ban jetzt gelungen. Sie konnten die gesamte Struktur bei 3,4 Angstr?m (0,34 Nanometer) entschlüsseln. Ihre Erkenntnisse publizierten die Wissenschaftler soeben in der Fachzeitschrift ?Nature?.

Bei den Untersuchungen kamen die hochaufl?sende Kryo-Elektronenmikroskopie am Elektronenmikroskopie-Zentrum der ETH Zürich (ScopeM) und modernste Methoden der Massenspektrometrie zum Einsatz. Aufgrund jüngster technischer Fortschritte in der Kryo-Elektronenmikroskopie und der Entwicklung von Elektronenkameras, die selbst geringste Bewegungen korrigieren k?nnen, ist es seit kurzem m?glich, Biomoleküle mit einer Aufl?sung von weniger als vier Angstr?m aufzunehmen.

Wirkung von Antibiotika verbessern

Die neuen Bilder zeigen insbesondere die detaillierte Ansicht des Peptidyl-Transferase-Zentrums (PTC), also dem Ort, wo die Aminos?urebausteine verbunden werden. Die so synthetisierten Proteine durchqueren dann einen Tunnel, über welchen sie die grosse Untereinheit des Ribosoms schliesslich verlassen.

Vergr?sserte Ansicht: Farbenfrohes Modell der grossen Untereinheit des Mitoribosoms. (Grafik: Gruppe Prof. N.Ban / ETH Zürich)
Farbenfrohes Modell der Struktur der grossen Untereinheit des mitochondriellen Ribosoms beim S?ugetier. (Grafik: Gruppe Prof. N.Ban / ETH Zürich)

?Dieser Vorgang ist medizinisch von Bedeutung?, sagt Basil Greber, Erstautor der Studie und Post-Doktorand in Nenad Bans Gruppe. Denn dieser Tunnel wird als Angriffspunkt für bestimmte Antibiotika genutzt: Das Antibiotikum setzt sich im Tunnel fest und hindert die frisch erzeugten Proteine daran, diesen zu verlassen. Allerdings sollen Antibiotika nur die Proteinsynthese bei den Ribosomen von Bakterien hemmen.

?Damit ein Antibiotikum beim Menschen eingesetzt werden kann, darf es nicht die menschlichen Ribosomen angreifen?, erkl?rt Greber. Antibiotika dürfen die Proteinsynthese nur bei bakteriellen Ribosomen hemmen. Das Problem aber ist, dass mitochondrielle Ribosomen denen von Bakterien gleichen. Darum st?ren gewisse Antibiotika auch die Mitoribosomen. ?Dies kann zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen.? Dank der Ergebnisse der ETH-Forschenden lassen sich künftig Antibiotika designen, die nur bakterielle und nicht mitochondrielle Ribosomen hemmen. Eine Grundvoraussetzung dafür, dass sie in der Klinik eingesetzt werden k?nnen.

?berraschende Entdeckung

Die ETH-Forschenden machten zudem eine unerwartete Entdeckung. Sie stellten fest, dass die Mitoribosomen Transfer-RNS auf zwei grunds?tzlich verschiedene Arten einsetzen. Zum einen verwenden sie tRNS, um die richtige Aminos?ure für die Peptidsynthese im PTC auszuw?hlen. Zum anderen ist eine tRNS, anders als bei allen übrigen Ribosomen, fest in die Struktur eingebaut. Dadurch wird eine Ribonukleins?ure (RNS), die im Laufe der Evolution verloren gegangen ist, funktionell ersetzt. Es war zwar seit l?ngerem bekannt, dass mitochondrielle Ribosomen w?hrend ihrer Entwicklung neue Proteine in ihre Struktur integriert hatten. Erstmals wurde aber beobachtet, dass ein komplett neues RNS-Molekül verwendet wird. ?Das zeigt, wie anpassungsf?hig Mitoribosomen sind?, betont Greber.

Bei seinen Forschungen steht das ETH-Team nun vor der grossen, bislang ungel?sten Aufgabe, die Struktur der kleineren Untereinheit des mitochondriellen Ribosoms zu bestimmen. Da diese flexibler ist als die grosse Untereinheit, ist dies eine noch gr?ssere Herausforderung.

Literaturhinweis

Greber BJ, Boehringer D, Leibundgut M, Bieri P, Leitner A, Schmitz N, Aebersold R, Ban N: The complete structure of the large subunit of the mammalian mitochondrial ribosome. Nature, Online-Publikation vom 1. Oktober 2014. doi: externe Seite10.1038/nature13895

Greber B et al.: Architecture of the large subunit of the mammalian mitochondrial ribosome. Nature 2014, 505: 515–519. doi: externe Seite10.1038/nature12890

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